Adolf Erbslöh
(* 27. Mai 1881 in New York; † 2. Mai 1947 in Irschenhausen) war ein deutscher Maler. Zusammen mit Marianne von Werefkin und Alexej Jawlensky initiierte er die Gründung der Neuen Künstlervereinigung München (N.K.V.M.), aus der später der „Blaue Reiter“ hervorging. weiterlesen…Erbslöh entstammte einer Kaufmannsfamilie aus Barmen. Sein Großvater Julius Erbslöh war Mitbegründer der Firma Julius und August Erbslöh in Barmen, sein Vater war Mitinhaber der Exportfirma Dieckerhoff, Raffloer & Co. und war für diese 15 Jahre in New York tätig, bis er 1887 mit seiner Familie nach Barmen zurückkehrte. Erbslöh besuchte das Realgymnasium in Barmen. Während dieser Zeit zeichnete er „Köpfe […] nach Gyps“, Pflanzen „nach der Natur“ oder „Bismarck (nach Lenbach)“. Aus seiner Schulzeit datiert seine Freundschaft mit seinem entfernten Vetter Oscar Wittenstein (1879–1918). Nach dem Abschluss des Realgymnasiums begann er in Barmen eine kaufmännische Ausbildung.
1901 nahm er sein Studium an der Karlsruher Akademie auf. Seine Lehrer waren Ernst Schurth (1848–1910) und Ludwig Schmid-Reutte (1862–1909). Seit der Karlsruher Studienzeit war er mit Alexander Kanoldt und Georg Tappert befreundet.
1904 bezog er zusammen mit Wittenstein in München eine gemeinsame Wohnung und setzte sein Kunststudium 1905 an der dortigen Akademie bei Ludwig von Herterich fort. Seine Zeichnungen sind bis 1906, dem Zeitpunkt eines Aufenthaltes in Harburg an der Wörnitz, noch „vom realistischen Stil des 19. Jahrhunderts geprägt.“ Bemerkenswert ist im Zusammenhang dieser Disziplin, dass Erbslöh neben der stilistisch geprägten Zeichnung zeitlebens auch die gegenständlich realistische Zeichnung pflegte, die durch Beschriftung und Datierung Tagebuchcharakter hat. Courbet, Marées und Leibl werden als Anreger zur Weiterentwicklung in der Kunst von Erbslöh gesehen. Erbslöh heiratete 1907 seine Cousine 2. Grades Adeline Schuchard, Tochter von Hugo Schuchard, auf dessen Burg Calenberg bei Warburg.
Seit Herbst 1908 hatte Erbslöh Kontakt zum „rosafarbenen Salon“ der Marianne von Werefkin. Gemeinsam mit ihr, Alexej Jawlensky und Oscar Wittenstein entwickelte er vor Weihnachten 1908 die Idee, die „Neue Künstlervereinigung München“ (N.K.V.M.) zu gründen. Gabriele Münter, Wassily Kandinsky und Kanoldt waren an dem Unternehmen zunächst nicht beteiligt. Am 22. Januar 1909 wurde die Gründungsurkunde zur N.K.V.M. verfasst. In der N.K.V.M., die sich das Ziel gesetzt hatte, „Kunstausstellungen in Deutschland wie im Ausland zu veranstalten“, fungierte Erbslöh zunächst als Schriftführer. Sein Studienfreund Kanoldt, der sich mittlerweile auch in München niedergelassen hatte, trat im Laufe des Jahres der N.K.V.M. bei. Ebenso sein Freund Wittenstein, der inzwischen Musik, Literatur und Philosophie an der Münchner Universität studierte.
1909 wurde Erbslöh in seiner Heimatstadt Barmen eine erste, von Richart Reiche organisierte Einzelausstellung im Kunstverein Barmen ausgerichtet. Die Barmer Zeitung berichtete zu diesem Anlass am 12. Juni 1909 sehr aufgeschlossen über eines seiner weiblichen Porträts: „Sein Urheber hat sich im Voraus darauf gefreut, seinen Landsleuten in der Heimat diese für sie ungewöhnliche Überraschung zu bereiten, denn ein Gesicht mit gelben Backen, grünen Nasenschatten, grünen Pupillen und einem gewellten Haar, das alle Regenbogenfarben in breiten Tupfen wiedergibt, dürfte auch in der alten Färberstadt Barmen recht ungewöhnlich sein.“ Aus der Ausstellungsbesprechung ist eindeutig herauszulesen, dass Erbslöh damals auch die Malweise der Neoimpressionisten beziehungsweise der Pointillisten praktizierte.
Die 1. Ausstellung der N.K.V.M. fand vom 1. bis zum 15. Dezember in der Modernen Galerie Heinrich Thannhauser in München statt. An ihr nahm Erbslöh mit drei Arbeiten teil. Das Gemälde mit dem Titel „Märzsonne“ ist im Ausstellungskatalog abgebildet und hat sich erhalten. Stilistisch zeigt es, dass Erbslöhs Malerei im Umbruch ist. Gegenüber den früheren Pünktchen und Häkchen gewinnen flächen- und linienhafte Elemente an Bedeutung. Sehr deutlich ist seinen damaligen Interieurs, Aktdarstellungen oder Stillleben anzusehen, dass er unter dem stilistischen Einfluss von Jawlensky stand. Er selbst „nannte 1931 Jawlensky neben van Gogh und Cézanne als einen der drei Künstler, die für sein Schaffen richtungsweisend geworden seien.“ Etliche seiner Bilder baute er systematisch auf den Gesetzlichkeiten der Grund- und Komplementärfarben auf, denen er mitunter das Nichtfarbenpaar Schwarz und Weiß hinzugesellte.
Seiner Vermittlung war zu verdanken, dass die N.K.V.M. im April 1910 im Museum in Elberfeld ihre erste Museumsausstellung erhielt, die anschließend auch im Kunstverein Barmen fortgesetzt wurde.
Im Mai 1910 reiste Erbslöh nach Paris, um in Begleitung von Pierre Girieud, einem Freund von Werefkin und Jawlensky, die Künstler Georges Braque, André Derain, Kees van Dongen, Paco Durrio, Henri Le Fauconnier, Pablo Picasso, Georges Rouault, Henri Rousseau, Maurice de Vlaminck und Seraphim Soudbinine (1870–1944) zur zweiten Ausstellung der N.K.V.M. einzuladen. Zum Zeitpunkt, als Franz Marc noch darum rang, „aus der Beliebigkeit der Farbe herauszukommen“, fand er am 2. Dezember bewundernde Worte für Erbslöhs Malerei: „Erbslöh’s neue Sachen sind glänzend.“ Die 2. Ausstellung der N.K.V.M. fand vom 1. bis zum 14. September ebenfalls in der Galerie Thannhauser statt. An ihr nahm Erbslöh mit fünf Arbeiten teil. Das Gemälde mit dem Titel „Tennisplatz“ ist im Ausstellungskatalog abgebildet und hat sich erhalten.
Eine viel zu wenig in der Kunstgeschichte beachtete Ausstellungskonstellation hat man Erbslöh zu verdanken. Von seinem Studienfreund aus der Karlsruher Zeit, Georg Tappert, dem ersten Vorsitzenden der Neuen Secession in Berlin, war Erbslöh persönlich zu dritten Ausstellung der Neuen Secession eingeladen worden. Das Wohl der N.K.V.M. im Auge habend, verzichtete er auf eine Teilnahme, sorgte jedoch dafür, dass die gesamte N.K.V.M. an deren vierter Ausstellung vom 18. November 1911 bis 31. Januar 1912 in Berlin teilnehmen konnte. Schon im März hatte Erbslöh die Teilnahme mit Tappert abgesprochen. Am 1. April verbürgte er sich für hochrangige Exponate: „Im Interesse unserer beidseitigen Bestrebungen um die neue Kunst werden wir unsere besten Arbeiten zu Ihrer Ausstellung nach Berlin senden.“ Wie vereinbart kam es auch zur gemeinsamen Präsentation der Werke der beiden wichtigsten progressiven deutschen Künstlergruppierungen, denen der „Brücke“-Maler und denen der N.K.V.M., von denen einige Künstler delikaterweise im Dezember in München zur Ausstellung der Redaktion Der Blaue Reiter konvertiert waren.
Als es in der N.K.V.M. zu diversen Unstimmigkeiten kam, legte Kandinsky den Vorsitz am 10. Januar 1911 nieder, trat aber aus dem Verein nicht aus. Erbslöh wurde darauf zum 1. Vorsitzenden gewählt, Wittenstein zu dessen Stellvertreter, Kanoldt erhielt den Posten des Sekretärs. Von langer Hand planten Kandinsky und Franz Marc eine Intrige, um die N.K.V.M. verlassen und den ahnungslosen Mitgliedern die Schuld zuschieben zu können. Dies sollte möglich werden, indem Kandinsky zur Jury im Dezember ein abstraktes Bild einzureichen gedachte. Es sollte mit dem Titel „Das Jüngste Gericht/Komposition V“ in die Geschichte eingehen. Dieses würde schon wegen seiner Größe von über vier Quadratmetern gegen Statuten der N.K.V.M. verstoßen und deshalb von der Jury zurückgewiesen werden. Bereits für den 6. August lässt sich nachweisen, dass Kandinsky an der Verwirklichung seines Planes arbeitete, denn an Münter schrieb er an diesem Tag: „Ich male und male jetzt. Lauter Skizzen zum Jüngsten Gericht.“ Am 10. August zeigte sich Marc gegenüber seinem Freund August Macke überzeugt, dass das Vorhaben klappen würde. Denn er schrieb ihm, er und Kandinsky sähen „eine schauderhafte Auseinandersetzung“ voraus, die zu einer „Spaltung“ der N.K.V.M. führen werde. Somit zeichnete sich zu diesem Zeitpunkt bereits eine Secession ab. Am 8. September bekräftigte Marc seine Absicht, indem er von einer „schnellen Beerdigung der Vereinigung“ sprach. Am 30. Oktober war Kandinskys und Marcs Gegenausstellung längst beschlossene Sache und terminiert. Ihrer Korrespondenz ist nämlich zu entnehmen, dass Heinrich Campendonk bei der ersten Ausstellung des „Blauen Reiter“ mit von der Partie sein sollte: „Campendonk macht fabelhaft gute Sachen. Ich [möchte] gerne etwas von ihm im [Katalog des] bl.[auen] Reiter[s] abbilden und ausstellen im Dezember!“
Am 2. Dezember 1911 trat die Jury der N.K.V.M. unter dem Vorsitz von Adolf Erbslöh zusammen. Als Kandinsky juryfrei „Das Jüngste Gericht/Komposition V“ einreichte, „taucht die Frage auf: wie groß?? Über 4 Quadratmeter!!! Ist gegen die von Kandinsky selbst aufgestellten Statuten, fällt infolgedessen unter die Jury […] und ..... fällt durch“, schilderte Maria Franck, Marcs damalige Lebensgefährtin. Bechtejeff begründete seine Ablehnung: „Ich verstöhe es nicht“, wie Maria Franck ihn in ihrem Brief vom 3. Dezember 1911 an August Macke zitierte. Weder Kandinsky noch Marc machten einen Versuch, ihm das Bild zu erklären, auch nicht Werefkin, die es als „wundervolles Werk“ bezeichnete. Durch Täuschung ihrer Kollegen hatten Kandinsky, Marc und Münter erreicht, dass sie sich ohne Gesichtsverlust von der N.K.V.M. trennen und die erste „Blauer Reiter“-Ausstellung ausrichten konnten. Mit Häme brüstete sich Kandinsky in einem zweiseitigen Brief von 1938 vor Galka Scheyer über den Coup.
Ab 1933 wurden Ausstellungen für ihn unmöglich. Er zog sich ins Privatleben in Irschenhausen in Bayern zurück, blieb jedoch weiterhin verbunden mit den einstigen Weggefährten und Freunden, insbesondere Alexander Kanoldt, Walter Riezler und Alexej Jawlensky. Für letzteren hielt er 1941 auf dem Friedhof der Russisch-Orthodoxen Kirche in Wiesbaden bei dessen Beisetzung die Totenrede.
Am 2. Mai 1947 starb Erbslöh im Alter von 66 Jahren in Irschenhausen. Die Grabrede hielt Walter Riezler. Erbslöhs Tochter, die Malerin und Holzbildhauerin Inge Erbslöh, verwaltete und pflegte bis zu ihrem Tode den künstlerischen Nachlass ihres Vaters.